Oltner Tagblatt / MLZ vom 16. 01. 2007

Nicht stets wie im Märchen, aber stets märchenhaft

Olten «Küss den Frosch» traf im Schwager-Theater auf (weibliche) Resonanz

«Küss den Frosch» - so heisst Esther Haslers multiperspektivisches Märchen auf unsere Zeit. Nicht immer schön und mit Happy End, dafür mit gelassener Menschenfreundlichkeit und grosser musikkabarettistischer Virtuosität. Im Schwager-Theater zeigte die begnadete Schauspielerin vor ansehnlichem Publikum ein Programm, das mit leuchtenden Einzelszenen nicht geizte und Schwächen mühelos zu überbrücken wusste.

Fabian Saner

Satire als sublimierte Gesellschaftskritik, ohne falsche Beisshemmung, aber mit dem fantastischen Potenzial einer Symbiose aus Musik, Lied und Slapstick - so könnte Esther Haslers Humor-Urlaub umschrieben werden; ein schillernd vielfältiges, gebrochenes Gesamtbild aus Einzelsituationen, die - obwohl kaum miteinander in Bezug gesetzt - sich trotzdem harmonisch aneinanderfügen.

Mit allen Bühnenwassern gewaschen
«Küss den Frosch», heisst die programmatische Devise. Und wenn sich die Bühnenfrau ans Klavier setzt, ihre Chansons anstimmt, darunter irrwitzige Melodie frisch vermixt mit Zitaten aus dem Archiv des Musikkanons, dann entsteht da tatsächlich im Bühnengegenlicht eine magische Spannung zwischen Realität und Groteske, zwischen präzis-analytischer Ironisierung zeitgenössischer Bruchstellen und Inkonsistenzen und wunderbar ausgeleuchteten Geschichten aus dem Mikrokosmos menschlicher Alltagserfahrung.
All dies ruht in der erzählenden, spielenden und performenden Souveränität einer Künstlerin, die mit allen Bühnenwassern gewaschen ist.

«Helvetino» mit weiblichem Akzent
Vielleicht ist die Anspielung auf jene seit Kindestagen verinnerlichte wunderschöne Initiation im Kuss der Prinzessin, jenen schöpferischen Verwandlungsakt, auch die Leitmetapher der meist nur halbwegs instand gestellten Figuren, die Hasler panoramatisch durch ihr Programm jagt - und die mit allerlei Beschädigungen entweder bereits von Beginn ausgestattet sind, oder dann auf ihrem durchs Dickicht des (Über-) Lebenskampfes allmählich darin verwickelt werden.
Zum Beispiel jenes alte Hausmütterchen, das plötzlich die «Garette» entmottet, um damit einen weiblichen «Helvetina»-Akzent im SBB-Barwagen zwischen Zürich und Ziegelbrücke zu setzen. Oder die Radiomoderatorin, nach allen Prinzipien spassiger Urbanität modelliert, die im Live-Gespräch mit ihrer mitteilungsbedürftigen Hörerschaft überall hochgradig entwickelte Komplexe ortet und diese mit einem Set an absurden Ratschlägen zu meistern versucht, immer souveräne Teilnahmslosigkeit verströmt, und dabei ihr entrücktes Lächeln nie verliert. - Nicht alle sind zur Verpuppung fähig ...

Kein Wort-Monolog
Dass sich die Schauspielerin und Kabarettistin dabei nie auf einen Wort-Monolog beschränkt und ihre analytischen Fähigkeiten eben nicht ausschliesslich in der Stereotypenbildungen komischer Figuren auskostet, das ist die eigentliche Stärke dieses Programms. Zwar können Momente inhaltlicher Zerfaserung nicht gänzlich kaschiert werden; die wilden und stillen, leisen und lauten Einlagen am wichtigsten Bühnenrequisit überbrücken allerdings manch fade oder partiell unverständliche Passage. Im wilden Zitiermix von Klassikern aus dem Chanson, der Jazz- oder Bluestradition, immer leicht einsichtig modifiziert, fallen Haslers Spielfreude mit und für Ton, Klang und Wort in eins.

Was Küsse bewirken
Diese leicht und nach allen Seiten hin ausgeteilten «Küsse» verbreiten vor allem eines: Die unbändige Lust an bewegten Geschichten, an der Exzentrik freien Fabulierens, das sich in verschiedenen Medien austobt und eine Neigung zu den absurd-abstrusen Bedingungen des alltäglichen menschlichen Wahnsinns weder verhehlen will noch kann.
Und auch wenn dabei manchmal der eine Typus oder die andere Gruppe ein wenig über Gebühr karikiert werden: Esther Haslers gelassener Humor unterstreicht seine melancholische Menschenfreundlichkeit gerade darin, dass er die in höchstem widersprüchlichen Phänomene nicht vereindeutigt, sondern so interpretiert, wie wir sie kollektiv geprägt haben.
Und auch wenn schliesslich die Prinzessin zum Frosch mutiert (allzu viel Kitsch darfs denn doch nicht sein): All dies bleibt als schön imaginierbar, weil es schön erzählt ist. In einer Langsamkeit, die die Zuschauer mitnimmt, und nicht eigensüchtig über sie hinwegrauscht. - Weibliche Satire?



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